Das Thema verweist auf den zu seinem 200. Geburtstag speziell in den Leipziger Medien überaus präsenten Komponisten Richard Wagner und den vor 20 Jahren auf seine letzte Tournee gegangenen Frank Zappa, dessen letzte zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Produktion mit dem Ensemble Modern "The Yellow Shark" war. Das wirft natürlich die Frage auf, inwieweit der nicht unumstrittene deutsche "Großkomponist" Richard Wagner und der avantgardistische Bandleader, Gitarrist, Arrangeur und Komponist zueinander in Bezug gesetzt werden können. Die für das Programm zuständigen Kuratoren versuchen, durch die Auswahl der 2013 auftretenden Musiker diese Berührungspunkte der "zwei gigantomanischen Freaks" (Daniel Glatzel) zu illustrieren. Die Anzahl
von Jazzern, die sich mit dem Werk von Wagner befassten und befassen, hält sich in einem eher bescheidenen Rahmen. Vielleicht am bekanntesten ist die 1964 veröffentlichte Einspielung "Wagner" von Stan Kenton und seiner Big Band, die Befürworter und Gegner fand. Dagen weist die Affinität Frank Zappas zum Jazz schon eine wesentlich größere Bandbreite auf. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass bei etlichen Aufnahmen und Konzerten Jazzgrößen wie der kürzlich verstorbene George Duke, Don "Sugar Cane" Harris und Jean-Luc Ponty beteiligt waren. Auch bei vielen seiner Kompositionen und Arrangements sind Einflüsse aus dem Jazz unüberhörbar.
%D0%82.09.2013 im UT Connewitz Eva Klesse Quartett, Eric Schaefer The Shredsz
Es beginnt mit einer Preisverleihung. Die Schlagzeugerin Eva Klesse wird mit dem Leipziger Jazznachwuchspreis der Marion-Ermer-Stiftung 2013 ausgezeichnet und steigt danach mit ihrem Quartett, zu dem der Saxophonist Evgeny Ring, der Bassist Robert Lucaciu und der Pianist Philip Frischkorn gehören, in den Ring. Was Eva Klesse und ihre Begleiter in den folgenden Minuten bieten, ist einer Preisträgerin würdig. Die Musiker ergänzen sich hervorragend, unterschwellig aber ist zu spüren, dass die entscheidenden Impulse von Eva Klesse kommen. Mit ihrem Schlagzeugspiel setzt sie die Akzente. Die Musik ruht in sich, durch den Aufbau von Spannungen und dynamischen Entwicklungen reißt sie die Zuhörer mit. Besser kann ein Jazzfestival kaum beginnen!
Eric Schaefer The Shredsz setzen mit ihrem Projekt "Who is afraid of Richard W.?" den Konzertabend fort. Die Musiker bieten auf hohem Niveau eine merkwürdige Melange aus dem englischen Artrock der 1970er Jahre plus dem elektrischen Miles Davis und einigen elektrischen Einsprengseln. Verarbeitet werden Themen wie der "Walkürenritt" sowie Ausschnitte aus Opern wie beispielsweise "Tristan und Isolde" und "Tannhäuser". So richtig aufregend ist das bis auf wenige Passagen nicht und trifft auch bei den Zuhörern auf geteilte Zustimmung.
%D0%84.09.2013 im UT Connewitz Supersilent feat. Stian Westerhus
Schon im vergangenen Jahr war der norwegische Gitarrist Stian Westerhus mit einem Soloprogramm bei den 36. Jazztagen erfolgreich vertreten. Nun ist der Musiker mit einer der gegenwärtig interessantesten Experimental- und Avantgardebands, seinen Landsleuten von Supersilent, wieder in Leipzig. Arve Henriksen (Vocals, Trumpet, Percussion), Helge Sten (Synthesizer, Electric Guitar) und St%C3%A5le Storl%C3%B8kken (Synthesizer, Piano) haben es sich in den sechzehn Jahren ihres bestehen zu Prinzip gemacht, ihre Musik als freie Improvisation zu gestalten. Dabei sind Gäste wie Terje Rypdal, John Paul Jones und wie heute, Stian Westerhus, immer willkommen. Sie bewegen sie sich in einem breiten Spektrum zwischen "göttlichem Krach" und Ambient Music.
%D0%85.09.2013 in der Michaeliskirche Heinz Sauer &; Michael Wollny/ und im Völkerschlachtdenkmal Thomas Hertel
Schauplatz eines denkwürdigen Konzerts ist die mit einer hervorragenden Akustik ausgestattete Michaeliskirche. Der 1932 in Merseburg geborene Heinz Sauer kannte in seiner langjährigen Karriere als Tenorsaxofonist keinerlei Berührungsängste, was sich u.a. mit seiner Zusammenarbeit mit Albert Mangelsdorff, Alfred Harth und dem Globe Unity Orchestra sowie vielen anderen Koryphäen ausdrückt. Seit einigen Jahren ist er musikalisch mit dem Pianisten Michael Wollny verbunden. Am heutigen Abend können sich die Zuhörer in der vollbesetzten Kirche live an einem vom perfekten Zusammenspiel der beiden Musiker geprägten Konzert erfreuen. Die ohne sentimentale Attitüde vorgetragene Musik ist höchst sensibel, entbehrt aber nicht einer gewissen Bodenständigkeit. Der Zuhörer sieht sich in einen Dialog einbezogen, der ohne überflüssige Selbstdarstellung auskommt und für eine Entschleunigung unseres Lebens plädiert.
Im schnellen Wechsel geht es zum Leipziger "Koloss", dem Völkerschlachtdenkmal. Wie schon am Vorabend setzt Thomas Hertel mit seinem Ensemble einen Kontrapunkt zu den gängigen Feiern zum 200. Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht mit kostümierten Schlachtennachstellungen und ähnlichem Mummenschanz. Zum Auftakt bewegt sich ein Floß mit den Musikern auf dem "See der Tränen" unter Schlachtenlärm auf das Denkmal zu. Nach einem Trauermarsch in die Krypta verteilen sie sich zwischen den dort stehenden Figurengruppen und beginnen ihr Konzert. Unter Ausnutzung des einzigartigen Raumklanges bieten unter der Leitung des Komponisten, Keyborders und Arrangeurs Thomas Hertel Karolina Tryballa (Vocals), Krystoffer Dreps (Trumpet), Johannes Moritz (Saxophones), Vinzenz Wieg (Guitar), Jörg Wähner (Drums) uns Rafael Klitzing (Electronics) ein Programm zwischen Jazz und Neuer Musik, das vor allem durch Nachdenklichkeit geprägt ist. Die Zuschauer haben die Möglichkeit, sich während der Darbietung frei im Raum zu bewegen, den Akteuren sehr nah zu sein und dabei ihren Gedanken und Emotionen nachzugehen.
g.10.2013 in der Oper Leipzig Andromeda Mega Express Orchestra, Dieter Ilg Trio, Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz feat. Dan Berglund
Es hat sich eingebürgert, dass der veranstaltende Jazzclub Leipzig zu diesem Festival ein Auftragswerk vergibt. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Daniel Glatzel und sein Andromeda Mega Express Orchestra. Es ist sehr erfreulich, dass junge und innovationsfreudige Musiker dadurch die Möglichkeit bekommen, ihr Werk einem größeren Publikum vorzustellen. Das ist auch unter dem Aspekt zu loben, dass Formationen dieser Größe nur unter größten Anstrengungen am Leben zu erhalten sind. Nach eher verhaltenem Einstieg geht es mit einem Stück weiter, das unverkennbar Bezüge zu Frank Zappas "Waka Jawaka"- Produktion aufweist. Der Bandsound hier und bei den darauf folgenden Stücken zeigt, dass das Andromeda Mega Express Orchestra auch Affinitäten zum Werk von Gil Evans hat. Im Verlauf der Aufführung zeigen sich die Spielfreude und die hohe Professionalität der durch die Bank weg jungen Bandmitglieder, denen für ihre weitere musikalische Entwicklung nur das Beste gewünscht werden kann.
"Wo war eigentlich Wagner?" lautete die Frage eines Jazzfans nach dem Konzert des Dieter Ilg Trios, das seine aktuelle Produktion "Parsifal" zu Gehör brachte. Trotz versierter Technik sprang dabei der Funke nicht auf alle Zuhörer über. Dieter Ilg (Bass), Rainer Böhm (Piano) und Patrice Heral (Drums) bewegten sich doch sehr in einem recht konventionellen Rahmen.
Bugge Wesseltoft (Piano, Keyboards) ist eine der vielen Vorzeigefiguren der norwegischen Jazzszene, deren Akteure bei Jazzfestivals immer gern gesehene Gäste sind. Er ist bekannt dafür, Verbindungen zwischen Jazz und Electronics zu suchen und in seine Musik einfließen zu lassen. Seit 2011 arbeitet er verstärkt mit Henrik Schwarz (Electronics, Loops) zusammen. Zum heutigen Konzert hat sich das mit dem Bassisten Dan Berglund verstärkt, der interessante Nuancen in die gemeinsame Arbeit einbringt. Zu Beginn werden Erinnerungen an die frühen King Crimson geweckt, im weiteren Konzertverlauf konzentriert sich das Trio auf die Erschaffung grandioser Klanglandschaften, sie aber gelegentlich die Geduld des Publikums etwas strapazieren. Die Höhepunkte des Konzerts werden mit den Dialogen zwischen Wesseltoft und Berglund gesetzt.
h.10.2013 in der Oper Leipzig Samuel Rohrers NOREIA, Nanne Emilie & Band, Joshua Redman Quartet
Der Opener des heutigen Konzerts in der Oper ist der Schweizer Drummer Samuel Rohrer mit seinem Projekt NOREIA, zu dem Claudio Puntin (Clarinette), Peter Herbert und Sk%C3%BAli Sverisson (Baritone Bass) gehören. Samuel Rohrer ist ein Soundbastler, der sich zumeist in eher langsam fließenden Gewässern bewegt. Nach seinem Auftritt bemerkt ein Konzertgast, dass er sich stark an die Musik von Tangerine Dream erinnert fühlt. Dieser Vergleich erscheint nicht sehr abwegig, denn die Spannung bleibt während ihres Konzerts auf einem recht konstanten Level, was bei den Zuhörern auch zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führt.</p>%5Cr%5Cn<p>%C2%A0</p>%5Cr%5Cn<p>Die aus Dänemark stammende Sängerin Nanne Emilie wird zum großen Heer der skandinavischen Stimmwunder-Ladies gezählt, die teilweise den Jazz mit einem mehr oder weniger großen Touch von Pop bereichern. Die charmante junge Dame bestreitet ihr Programm allerdings mit einem fast schon in die Salonmusik reichenden Repertoire, das zwar einen großen Teil des Publikums im heute sehr gut besuchten Opernhaus begeistert, aber das Jazzfeeling nicht unbedingt zu seinen Stärken zählt.
Bei keinem Festival darf eigentlich eine Formation aus dem Mutterland des Jazz fehlen. Heute Abend beschließt der amerikanische Saxophonist Joshua Redman mit seinem Quartett, bestehend aus Aaron Goldberg (Piano), Reuben Rogers (Bass) und Gregory Hutchinson (Drums) den Reigen. Alle vier Künstler sind gestandene Musiker, die Bewegung in das Publikum bringen. Sie erfinden den Jazz nicht unbedingt neu, aber mit ihrer Spielfreude und -kultur sind sie als unbedingte Bereicherung der diesjährigen Jazztage anzusehen.
i.10.2013 in der Oper Leipzig Mike Svoboda Quartet, Carla Bley Trio
Mike Svoboda ist ein Unikum. Sein Projekt nennt sich "14 Versuche, Wagner zu lieben zu lernen". Auf so einen Titel muss man erst mal kommen. Mit seinem Quartett, bestehend aus Wolfgang Fernow (Bass, Vocals), Michael Kiedaisch (Drums, Vocals, Guitar, Accordeon) und Scott Roller (Cello, Vocals) bietet der Multiinstrumentalist eine Performance mit höchstem Unterhaltungswert. Das alles ist eine Mischung aus wagnerischen, improvisierten Versatzstücken und rezitierten Statements u.a. von Camille Saint-Sa%C3%ABns, Friedrich Nietzsche und Eric Satie. Da werden u.a. Wagners Verhältnis zu Frauen und das Kommen und Gehen von musikalischen Moden beleuchtet, unterbrochen von nicht ganz ernst gemeinten Zitaten wie z.B. aus "Lohengrin", den "Meistersingern" und dem "Ring".
Die Pianistin Carla Bley ist oft als das "Chamäleon des Jazz" bezeichnet. Hierzulande wurde sie vor allem durch ihr Mega-Opus "Escalator Over The Hill" berühmt, das in sich eine ungeheure Vielfalt von Stilen birgt. Ihr Trio mit dem legendären Steve Swallow (Bass) und Andy Sheppard (Saxophones) dokumentiert diese Vielfalt in einer kleinen Form, die aber keineswegs dadurch an Ausdruckskraft einbüßt. Die langjährige Zusammenarbeit der drei Musiker ist greifbar, wahrscheinlich resultiert daraus auch die Lockerheit, Klarheit und Souveränität, mit der sie musizieren. Die haben für ihr aktuelles Album "Trios" auf ältere Kompositionen zurückgegriffen, als Beispiel sei hier nur "Vashkar" genannt, einer der vielen Höhepunkte ihres Auftritts. Die drei Ausnahmemusiker bieten ein beeindruckendes Sounderlebnis, ein besonderes Highlight dieser Jazztage!
Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch