Raub der Sabinerinnen in der Komödie am Kurfürstendamm Berlin

Nun ist Katharina Thalbachs Inszenierung des "Raubs der Sabinerinnen" von Rostock kommend über Stationen in Potsdam und Hamburg (natürlich mit teilweise wechselnden Besetzungen) auch in Berlin gelandet, in der "Komödie am Kurfürstendamm". Und da musste sie sich gleich einem besonders kritischen Auditorium stellen, hätte man doch aus dem Premierenpublikum heraus mehrere Stücke hochkarätig besetzen können. Es schien so, als hätte sich Berlins Boulevard-Elite zum "Klassentreffen" verabredet und weitere Prominenz dazu gebeten. Die meisten von ihnen haben diesen nicht tot zu kriegen Schwank der Brüder Schönthan, hier wieder in der wunderbaren Fassung von Curt Goetz, sicher mehr als einmal gesehen, oder
ihn selbst gespielt. Aber es gelingt der Aufführung, die Zuschauer zu erobern und das Ensemble wird am Schluss mit "standig ovations" gefeiert. Besonders natürlich Katharina Thalbach.

Sie ist wie Striese Dreh- und Angelpunkt der Unternehmung und einfach hinreißend als das Direktorenehepaar. Ja, sie spielt Striese und seine "süße, kleine Frau". Da wird jede Geste, jeder Blick bis ins Letzte ausgekostet. Wundervoll berührend kurz vor Schluss ihre Szene mit Sterneck (Tobias Schulze), als es um das Angebot an Striese geht, Direktor des "Neustädter Theaters" zu werden. Ein bisschen mehr davon hätte ich auch gern in dem berühmten Monolog gespürt, aber vielleicht hatte sie Angst, es könnte plötzlich zu sentimental werden. Hier hat mir übrigens sehr gefallen, dass die Regisseurin Richard Barenberg als Dr. Neumeister von der undankbaren Aufgabe befreit hat, als stummer Anspielpartner mit auf der Bühne zu sein.

Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass die Thalbach ihr Ensemble mit einem unerschöpflichen Reservoir von Einfällen bedacht hat, damit nur ja keiner der Kollegen zu kurz kommt. So hat man häufig das Gefühl, als hätte dem Ganzen eine Bearbeitung durch Fedeau zu Grunde gelegen. Aber warum nicht. Es geht um Theater - und hier erlebt man unbekümmertes Theater pur, inclusive Slapstick. Allerdings höchst präzise gearbeitet.

Den ersten Applaus gibt es sofort nach Öffnen des Vorhangs für ein wundervolles, opulentes Bühnenbild. Doch in einem glücklichen Zusammenspiel von Ausstattung und Regie ist das
alles nicht nur Dekoration, sondern kann auch benutzt werden. Und das geschieht ausgiebig.Ich habe schon lange nicht mehr einen so einfallsreichen Umgang mit Möbeln gesehen. Schwingt das Dienstmädchen Rosa (Swantje Henke) am Anfang noch etwas grob die Schwank-Keule, wechselt man zunehmend zu komödiantischem Säbel, manchmal sogar zum Florett.

Markus Völlenklee spielt Zerstreutheit und Verzweiflung des Professor Gollwitz groß aus, aber es ist rührend, wie er "aufblüht", wenn seine dichterische Jugendsünde Anerkennung erfährt. Jeder im Ensemble findet seine komödiantische Individualität (neben den schon genannten Andreja Schneider und Anna Thalbach als Frau und Tochter Gollwitz, Nadine Schori als Frau Neumeister und Siegfried Kadow als Karl Gross) Letzterer wirkte auf mich allerdings etwas zu jung als Vater von Sterneck.

Von den vielen Einfällen möchte ich nur einen herausheben: In so einer irrwitzig witzigen Variante hat man das Happy End des Liebespaares Paula und Emil bestimmt noch nie ausgekostet. Das sei hier nicht näher beschrieben, davon muss man sich einfach überraschen lassen.

Ich kann also nur jedem raten, sich schnell um Karten zu bemühen, denn der Premierenerfolg dürfte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreiten. Und wenn Striese am Ende winkend schon wieder auf Reisen zur nächsten Unternehmung ist, dann trifft das garantiert auch auf die Thalbach zu. Ich freu mich drauf.
Rainer Gerlach für radio-mensch

Rocco und seine Brüder am Maxim-Gorki- Theater Berlin

"Rocco und seine Brüder", dieser bedeutende Film Viscontis, der nicht zuletzt Alain Delon den Durchbruch als Schauspieler brachte, hat nun seinen Weg auf die Bühne des Berliner Maxim-Gorki-Theaters gefunden. Es ist nicht der erste Versuch einer theatralischen Umsetzung. Bereits 2008 hat ein Amsterdamer Ensemble im Rahmen der Ruhrtriennale eine Stückfassung gezeigt. Ich habe sie nicht gesehen, aber den Beschreibungen nach hat sie anstrengende 3 Stunden ohne Pause gedauert. Das kann man der Inszenierung von Antu Romero Nunes schon mal nicht vorwerfen. Die pausenlosen 2 Stunden sind durchaus unterhaltsam. Da wird die große Kiste der Theatermittel aufgemacht: die Truppe darf zunächst
als Pantomimenensemble einen ausgiebigen Stummfilm-Auftakt spielen, Requisiten werden nicht als Zierrat, sondern als eigenständige Erzählmittel genutzt, eine nicht sichtbare Brosche wird durch schauspielerische Magie zu einer Kostbarkeit. Die Liste glücklicher Einfälle ließe sich noch weit fortsetzen. Und man hat den Eindruck, dass hier ein Ensemble lustvoll seinem Regisseur in den theatralischen Buddelkasten gefolgt ist. Dafür gab es am Schluss verdienten starken Applaus. Also ein Theatervergnügen ohne "wenn und aber"? Das war es für mich denn doch nicht hundertprozentig.

Der Regisseur scheint eine panische Angst davor zu haben, dass ich auch nur eine Sekunde vergessen könnte, dass ich im Theater sitze. Was bei dem bis auf die raffiniert eingesetzten Züge mit Neonröhren und Lautsprecherboxen plus gelegentlich rotierender Drehbühne leeren Raum (Bühnenbild Johannes Hofmann) gar nicht möglich ist. Ein spielerischer Bruch jagt den nächsten. Das vermeidet zwar falsches Pathos, führt aber hier und da für mich zu einer Oberflächlichkeit, die einer Vertiefung der Konflikte nicht unbedingt zuträglich ist. Aber gut, das war anscheinend auch nicht beabsichtigt - die Dinge werden vorgeführt, behauptet, berichtet. Gerade deshalb habe ich es genossen, wenn - besonders an Punkten der Hilflosigkeit der Figuren - die
Schauspieler ehrliche, unkitschige Emotionen zeigen durften. Vor allen Dingen Michael Klammer als Simone, Robert Kuchenbuch als Rocco und Anne Müller als Nadja. Und sie beherrschten das ebenso gut wie das "Aussteigen" und das Jonglieren mit Situationen. Albrecht Abraham Schuch und
Matti Krause kamen da leider vergleichsweise etwas zu kurz, was aber deutlich nicht an ihnen lag.

Andreas Leupold konnte dagegen in drei Rollen brillieren, das tat er nicht nur mit sichtlichem Vergnügen, sondern auch mit viel Geschmack, es wurde nie billige Klamotte. Genannt sei noch der Darsteller des Luca (ich habe mich leider nicht informiert, ob Alp Erdener Ergovan oder Berk Kavasoglu die Premierenbesetzung war). In den letzten Minuten vor Beginn darf er demonstrativ das Publikum betrachten (Merke: Wir machen hier Theater - und ihr seid das Publikum), am Schluss ein Lied singen zu dem der Pasolini-Text, der sich auch im Programmheft befindet, projiziert wird. Dem unterzieht er sich mit heiligem Ernst und schöner Stimme. Vielleicht habe ich da was falsch verstanden, aber es war für mich im Verhältnis zu den vorherigen zwei Stunden zu viel Pathos.

Unbedingt erwähnt werden müssen noch die miterzählende Musik von Florian Lösche und die Kostüme von Judith Hepting, die genau weiß, wann und wo sie aussagekräftig Farbflecke in die schwarz-weiße Grundverabredung einbringt. Dass bei einer neuen Bühnenfassung die Dramaturgie (Carmen Wolfram) eine wesentliche Rolle spielt, liegt auf der Hand. Inwieweit sie bei dieser überbordenden regielichen Fabulierkunst zum Zuge kam, kann ich allerdings nicht einschätzen. Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass es keine Autorenangabe außer dem Filmschöpfer Visconti gibt. "Sehr frei nach" wäre vielleicht eine ehrliche Ergänzung gewesen. Es heißt ja "Der Zweck heiligt die Mittel." Die Mittel habe ich hervorragend gesehen. Ich hoffe, dass sich mir beim nächsten Mal auch noch der Zweck - über das "Vergnügen am Theatermachen" hinaus - erschließt. Dann wäre dieses Vergnügen ungetrübt. Rainer Gerlach für radio-mensch.

Besuch bei Mr. Green im Schlosspark Theater

"Besuch bei Mr. Green" von Jeff Baron war ein wunderbares, berührendes Erlebnis im Schlosspark Theater. Zwei Schauspieler haben aus einem kleinen Stück einen großen Theaterabend gemacht. Mr. Green, ein alter, orthodoxer Jude, dem kürzlich die Frau gestorben ist, hat sich in seine graue Wohnung vergraben und droht zu verwahrlosen. Im Bühnenbild von Stephan von Wedel hat der Raum etwas von einem selbst gewählten Kerker. Überraschend und unwillkommen dringt Ross, ein junger Mann ein Mal wöchentlich in sein Leben ein. Er ist vom Richter zu diesen Sozialstunden verdonnert worden, weil er Mr. Green mit dem Auto beinahe über den Haufen gefahren
hätte. Nach und nach öffnet sich bei koscherem Essen Mr. Green dem ungebetenen Gast. Vor allen Dingen, weil der auch Jude ist. Als er dann aber erfährt, dass Ross schwul ist, hat er große Mühe, damit klar zu kommen. Noch schwerer fällt es ihm, über seinen Schatten zu springen und Kontakt zur verstoßenen Tochter aufzunehmen.

Wenn ich gesagt habe, dass es ein kleines Stück ist, so soll das nicht als Nachteil verstanden werden. Es erzählt liebevoll eine Geschichte von Vorurteilen und Toleranz ohne spektakuläre Effekte. Diesem Geist folgt die Inszenierung von Philip Tiedemann. Auch sie ist liebevoll, unspektakulär, aber voller wunderbarer Details. Und dann sind da zwei herrliche Schauspieler, die ihre Figuren mit großer Sensibilität entwickeln.

Michael Degen als Mr. Green ist in seiner Verbohrtheit so schlitzohrig, dass ihm die Sympathien sofort zufliegen. Man lacht viel über ihn, aber wenn die Tragik der verstoßenen Tochter ins Spiel kommt, hat man plötzlich den Kloß im Hals. Das ist schauspielerisch so fein, nie aufdringlich, dass es ein Genuss ist zuzusehen.

Steffen Schroeder ist ihm ein ebenbürtiger Partner. Wirkt er im Anfang noch etwas zu forsch, wird er immer differenzierter. Dadurch ist es auch so glaubhaft, dass er Mr. Green letztlich zur Einsicht bringt.

Das Stück endet in einer großen Hoffnung auf Versöhnung. Allerdings war mir der Effekt der aufgehenden Wand im Verhältnis zum gesamten Abend zu plakativ. Als wohltuend empfand ich, dass die Inszenierung jegliche folkloristische "Judentümelei" vermieden hat, auch in der Musik von Jörg Gollasch, die wundervoll die Atmosphäre des Abends mit geprägt hat. Bis zur Pause hätte ich mir ein bisschen mehr Tempo gewünscht, aber das kommt wahrscheinlich im Laufe der Vorstellungen ohnehin. Großes Schauspielertheater an einem Abend zwischen Lachen und Weinen. Zuschauerherz, was willst du mehr?!
Rainer Gerlach für radio-mensch

Die Liebe der Ruth Berlau im Bruckner-Foyer des Renaissancetheaters Berlin

Starker Beifall und Bravorufe im Bruckner-Foyer des Renaissancetheaters für die Berliner Premiere des Monodramas "Die Liebe der Ruth Berlau". Diese Fotografin, Schauspielerin, Schriftstellerin und Regisseurin war nicht nur eine wichtige Mitarbeiterin Brechts, sondern lange Zeit auch eine seiner Geliebten. Wenn man den Beschreibungen in den Biografien glauben darf, war sie Borderlinerin, die ihre wachsende Frustration in Alkohol ertränkte. Das Stück stammt von Barbara Apel und Monika Bienert. Letztere hat es auch gespielt und inszeniert. Der Erfolg sei ihr gegönnt, hat sie doch eineinhalb Stunden spannungsvoll mit vielen schauspielerischen Nuancen den Lebensweg Ruth Berlaus und ihre komplizierte Liebe zu Brecht nachgezeichnet.
Dennoch war der Abend für mich nicht befriedigend. Wenn ich es recht verstanden habe, beginnt alles nach dem tragischen Unfall-Tod der Berlau.

Nun blickt sie zurück auf ihr Leben. Aber was zunächst erzählt wird, geht zunehmend in ein Nachspielen verschiedener Momente, vor allem der tragischen über. Das ist für die Schauspielerin Bienert natürlich eine schöne Gelegenheit eine breite Gefühlspalette zu zeigen, aber da hätte die Regisseurin Bienert immer wieder bremsen sollen, darauf verweisen sollen, dass es nicht um Gegenwart, sondern um die Reflektion über Vergangenes geht. Da hätte aber auch schon das Stück konsequenter sein können. Und wenn schon "nachgespielt" wird, dann hätten auch die exzentrischen Züge dieser Frau sichtbar werden sollen. Andererseits bei einer Textstelle "ich geistere herum" hin- und herzulaufen, ist einfach nur illustrierend. Für mich waren die stärksten Momente, wenn sie direkt mit Brecht haderte. Denn dass sie die Schuld an ihrem problematischen Verhältnis allein ihm zuschreibt und sich nur den Vorwurf der zu großen Liebe macht, ist ja verständlich. Da wurde sie schön direkt, ohne falsche Sentimentalität auch bei den zarten Gedanken. Und gelegentlich blitzte auch ein trockener, selbstironischer Ton auf, der einer Rückschau der Toten öfter gut getan hätte. An diesem Abend haben einige wahrscheinlich zum ersten Mal etwas von Ruth Berlau gehört. Vielleicht wurden sie angeregt, aus anderen Quellen noch mehr über diese schillernde Persönlichkeit zu erfahren. Es würde sich lohnen.
Rainer Gerlach für radio-mensch

Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams als Premiere am Hans-Otto-Theater Potsdam und im Repertoire des Berliner Ensembles

Nach der Premiere von "Endstation Sehnsucht", dem Erfolgsstück von Tennessee Williams am Potsdamer Hans-Otto-Theater konnte ich meine Neugier nicht bezwingen und habe mir auch gleich noch Thomas Langhoffs Inszenierung am Berliner Ensemble angesehen. Um es vorweg zu nehmen, das Potsdamer Ensemble muss sich keineswegs verstecken. Nun darf man eine mit hoher Intensität gespielte Premiere sicher nicht mit einer Sonntagnachmittag-Repertoire-Vorstellung vergleichen, wie ich sie im BE erlebt habe, aber berührt hat mich die Potsdamer Aufführung mehr. Im Berlin war es natürlich hochprofessionelles Schauspielertheater mit Dagmar Manzel, Anika Mauer, Robert Gallinowski und Veit Schubert in den Hauptrollen. Aber die Geschichte der Blanche
Du Bois, die ihr Leben verpfuscht hat und bei ihrer Schwester Unterschlupf sucht, plätschert hier dahin, ohne den Zuschauer sonderlich aufzuregen.

Melanie Straubs Blanche in Potsdam ist viel brüchiger als die der Dagmar Manzel. Sie kaschiert der Lebenslügen nicht so perfekt, sondern wirkt wie in einem ständigen Kampf, immer unter Hochspannung. Das ist durchgängig fesselnd, genau wie ihre zarten Momente. Die hat auch Elzemarieke de Vos. Ihre Stella ist von einer entwaffnenden Natürlichkeit und Klarheit. Anika Mauer wirkt da weit weniger verletzlich. Ren%C3%A9 Schwittay muss natürlich das im Stück vorgegebene Macho-Image bedienen, aber im Gegensatz zu Robert Gallinowski, dessen Stanley durchgehend poltrig ist, zeigt auch er Momente der Verletzlichkeit, die diese Figur vielschichtiger machen. Wenn ich mit der Potsdamer Inszenierung trotz dieser differenzierten Figurenführung nicht so ganz glücklich war, dann lag das am Umfeld, das auf mich schrecklich angeschafft wirkte.(Bühne: Mayke Hegger) Warum dieser Sand auf der Bühne? Er hat keinen eigenen Erzählwert. Warum muss der Sperrmüll immer wieder hin und her geräumt werden? Nur ganz selten bringt das spannende Arrangements.

Manchmal - wie bei der Barrikade in der Blanche/Mitch-Szene - wirkte es dann auf äußerliche Effekte hin konstruiert. Und den Gedanken, dass alles immer unter den Augen aller passiert, habe ich schon sehr schnell begriffen, da hätte man nicht das Ensemble permanent sinnlos auf der Szene rumlungern lassen müssen. Was sollte auch das bestenfalls illustrierende, manchmal aber eher störende Bowling-Spiel im Hintergrund? Und dass Steve fremdgegangen ist, würde man auch begreifen ohne dass das Objekt der Begierde in der Gegend rumstehen muss.

Wenn Thomas Langhoff in Berlin sich vielleicht zu sehr auf die Wirkung des Stückes und seiner Schauspieler verlassen hat, hätte ich mir dieses Grundvertrauen in das Ensemble und den Text in Potsdam gewünscht. Aber ausgezeichnete Schauspieler haben den Abend gerettet.
Rainer Gerlach für radio-mensch
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