Die Aufführung der "Schachnovelle" von Stefan Zweig am Kleinen Theater Berlin, die ich in der 2. Vorstellung sah, ist in zweierlei Hinsicht verdienstvoll: Erstens hat das Theater mal wieder ein interessantes Stück für eine Berliner Erstaufführung ausgegraben. Helmut Peschina erzählt in seiner Bühnenfassung der wohl bekanntesten Erzählung Zweigs die Geschichte Dr. Bertrams sehr konzentriert. Bertram wird auf einem Transatlantikdampfer zufällig Zeuge einer Schachpartie zwischen dem amtierenden Weltmeister Czentovic und einer Gruppe von Reisenden, an deren Spitze ein Ölmagnat steht, der durch ein großzügiges Honorar die Schachkoryphäe zum Spiel überreden konnte. Bertram gelingt es, die drohende Niederlage abzuwenden und ein Remis
zu erreichen. Nachdem er noch einmal gegen den Weltmeister antreten soll, erzählt er einem Mitreisenden die Geschichte, wie er zum Schach gekommen ist. Von den Nazis in Einzelhaft gesteckt, nur von einem Wärter, der kein Wort mit ihm spricht, mit Essen versorgt, steht er kurz davor zusammenzubrechen und ein Geständnis abzulegen. Da kann er aus einem Mantel im Verhörraum ein Buch stehlen. Ist er zunächst enttäuscht darüber, dass es sich um eine Sammlung von Schachpartien handelt, dringt er zunehmend in die Materie ein, lernt die Partien auswendig und spielt sie zunehmend im Kopf durch. Das führt schließlich durch die Schizophrenie, stets sich selbst besiegen zu müssen, zum Nervenzusammenbruch.
Der rettet ihn zwar letztlich aus den Fängen der Gestapo, aber ihm wird deutlich gemacht, dass es für ihn gefährlich sein würde, je wieder Schach zu spielen. Er tritt dennoch gegen den Weltmeister an und gewinnt. Als er sich auf eine Revanche einlässt, verliert er jedoch die Nerven und gibt schließlich auf.
Das zweite große Verdienst des Theaters liegt darin, Marcus Off in der Rolle des Dr. Bertram dem Berliner Theaterpublikum bekannt zu machen. Mit ungeheurer Konzentration und sprachlicher Brillanz spielt er die Zerrissenheit der Figur. Er entfaltet eine starke Dynamik, ohne dass je etwas aufgesetzt wirkt und zieht den Zuschauer in seinen Bann.
Schade, dass das Umfeld da nicht mithalten kann. Die Regie (Karin Bares) lässt die anderen Darsteller (Mirko Böttcher, Max Grashof, Edward Scheuzger, Frank Henri Kirschgens) ihre Rollen sehr äußerlich zelebrieren. Das wird ganz ärgerlich, wenn der Ölmagnat zu einer Klischeefigur wird, wie sich Klein Moritz so einen schwerreichen Mann vorstellt. Auch der Schachweltmeister, der in der Geschichte sicher ein selbstgefälliger Emporkömmling ist, wird hier in die Richtung einer Witzfigur gedrängt wird.
Die Exposition der Situation auf dem Dampfer wird sehr breit ausgespielt und die Inszenierung gewinnt erst nach der Pause deutlich an Fahrt. Dass es nach dem Schluss zunächst keinen Applaus gab, war nach meinem Eindruck auch mehr einer Irritation, ob die Geschichte hier wirklich zu Ende ist, als einer (durchaus möglichen) Betroffenheit geschuldet. Aber da die Geschichte hochinteressant ist und Marcus Off die Inszenierung rettet, lohnt sich der Besuch im Kleinen Theater dann doch.
Rainer Gerlach für radio-mensch