Hätte ich nur gewettet. Denn mein Sitznachbar, der durchaus angetan von der Aufführung "Der goldene Topf" im Theater an der Parkaue war, vermutete aber, dass ein Teil des jugendlichen Publikums nach der Pause nicht mehr in den Saal kommen würde. Er wurde eines Besseren belehrt. Und das, obwohl man es den Zuschauern nicht gerade leicht macht. Warum folgten sie also aufmerksam dem Geschehen auf der Bühne und applaudierten am Schluss kräftig? Ich glaube, weil sie mit Figuren konfrontiert wurden, bei denen ihnen vieles vertraut war, sich aber auch immer wieder neue Entdeckungen machen ließen, weil merkwürdige, rätselhafte Dinge passierten. Ganz
abgesehen davon, dass auch immer eine Menge auf der Bühne los war. Der Student Anselmus (Andrej von Sallwitz), der genau wie die jungen Zuschauer gerade anfängt, seinen Lebensweg zu finden, gerät durch Liebe und Magie in ein ständiges Wechselbad zwischen Realität und die Welt der Mythen.
Sascha Bunge hat das vielschichtige Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann für sich gedeutet, aber nicht künstlich geglättet. Vor allen Dingen hat er die sprachliche Kunstebene erhalten, sich nicht durch Alltagsdialoge beim Publikum angebiedert. Und das Ensemble konnte die Texte auch sprechen! Die Gedanken waren nicht nur klar, sie waren auch ohne akustische Verstärkung mühelos zu verstehen. Das ist beileibe nicht in allen Berliner Theatern der Fall. Ja, es gab auch einmal den Einsatz von Mikros bei einer längeren Textpassage der beiden Serpentinas (Katrin Heinrich, Corinna Mühle), die diese übrigens bravourös meisterten. Aber da wurde durch die Technik eine besondere Ebene geschaffen, hatte es einen inhaltlichen Sinn. Das gleiche gilt für die Videoeinspielungen, die ich sonst so oft als überflüssigen modischen Schnickschnack empfinde. Hier haben sie auf lustige und naive Weise miterzählt. Das gleiche gilt für die Ausstattung, die ständig mit Überraschungen aufwartete. Es hat mir gefallen, dass Veronika (Franziska Krol) nicht nur scharf darauf war, Frau eines Hofrates zu werden, auch wenn sie sich am Ende dafür und gegen ihre Liebe entscheidet.
Ich will hier nicht alle Mitglieder des Ensembles nennen, aber es gab bei allen eine Menge schöner Details zu bewundern. Dass nicht nur phantasievoll, sondern auch sorgfältig gearbeitet wurde, merkte man schon ziemlich früh, als die Ärzte (hier mehr Schwestern) nicht nur eine Gruppe, sondern individuelle Charaktere waren. Sascha Bunge "schont Prospekte nicht und nicht Maschinen", Frauen spielen Männer, Männer spielen Frauen, eine Figur wird von zweien dargestellt. Aber das zeigt sich als lebendiges Theater im Dienst einer Geschichte, zum Glück nicht als Mittel der Selbstdarstellung. Ich bin die verschlungenen Pfade der Geschichte gern mitgegangen, auch wenn es für mich vor der Pause ruhig ein Viertelstündchen kürzer hätte sein können.
Rainer Gerlach für radio-mensch