Es ist eine recht ungewöhnliche Geräuschkulisse, die sich entlang einer breiten Schneise am Rand des für Fahrzeuge zugelassenen Geländes ausbreitet. Sie erinnert eher an eine belebte Großstadtkreuzung als an einen Campingplatz bei einem Rockfestival. Die Verursacher sind Traktoren, ohne deren Hilfe kein Fahrzeug an seinen Platz käme, ausgiebige Regenfälle haben das Areal am Hof Huhnstadt in eine Schlammwüste verwandelt. Freak City ist erstmals für Autos gesperrt, vor der Main Stage versinken die Besucher bis über die Knöchel in matschiger Pampe. Kurz gesagt, es herrscht eine Art Ausnahmezustand, der die Veranstalter vor große Probleme stellt, denn auch der Zugang für die
Künstler samt Equipment zur Bühne muss erkämpft werden. Trotz allem kann am Donnerstag die Freak City Band pünktlich ihr Konzert als traditioneller Opener des Festivals beginnen. Danach haben die Helfer zu tun, die Bühne mit Besen vom Regenwasser zu befreien, der Auftritt der attraktiven Sängerin Dana Fuchs aus Texas steht an. Die stimmgewaltige Bluesrockerin ist bekannt für ihre sehr bewegungsintensive Show, bei der es auch mal in die Horizontale gehen kann. Ihren starken Auftritt beendet sie mit dem eindrucksvollen Etta James-Cover "I´d Rather Go Blind", bei dem sie ihre stimmliche und körperliche Dynamik noch einmal voll präsentieren kann.
Bei langsam einsetzender Dunkelheit beginnen die vom Doom zum Neoprog konvertierten Anathema aus Liverpool ihren Set sehr melodiebetont und etwas gemächlich. Ab dem vierten Titel ist plötzlich Feuer in der Hütte und die Band steigert sich zu einem letztlich grandiosen Auftritt. Bei der Zugabe kann Sängerin Lee Douglas das volle Potential ihrer Stimme ausreizen. Ein Highlight!
Nach den vollen Klängen von Anathema haben Hidria Spacefolk aus Finnland mit ihrem spacigen Psychrock doch Probleme, die Spannung zu halten. Das Klangbild ist für manche etwas gewöhnungsbedürftig, besonders der Gitarrensound ist Geschmackssache.
Als einer der angekündigten Höhepunkte am Freitag stehen die Tubes aus San Francisco im Mittelpunkt des Interesses. Die Show, bei der besonders Sänger Fee Waybill mit diversen Masken und Kostümen (einschließlich monumentaler Plateausohlen) brilliert, ist professionell.
>Die Musik besteht aus einer merkwürdigen Melange verschiedener Stile und besticht nicht unbedingt durch umwerfende Originalität. Immerhin haben die Zuhörer die seltene Möglichkeit, Nina Hagens "TV-Glotzer" original als größten Hit der Tubes "White Punks On Dope" live zu erleben. Jethro Tull´s Ian Anderson hat sich von seiner Band getrennt und mit komplett neuer Besetzung "Thick As A Brick, Part II" aufgenommen. Sein Auftritt hinterlässt bei vielen Fans eine gewisse Ratlosigkeit. Angekündigt war die komplette Performance von "Thick As A Brick". Nach einer guten Viertelstunde ein kurzer Break und Ian Anderson kündigt Part II an, das übergangslos mit "My God" fortgesetzt wird. Gerade bei diesem genialen, religionskritischen Song ist von der ursprünglichen Dynamik nicht mehr viel übrig geblieben. Ist Ian Anderson altersmilde geworden? Jedenfalls scheiden sich bei diesem Konzert die Geister, zumal auch bei "Aqualung" und "Locomotive Breath" trotz aller technischer Perfektion der letzte Kick fehlt. Aber der Abend ist noch lange nicht zu Ende. Tito (Larriva)& Tarantula bringen wieder handfesten Rock´n´Roll mit Anklängen an mittelamerikanische Stilarten auf die Bretter.
Den Auftakt zum nächsten Tag machen lange nach Mitternacht Amplifier aus dem britischen Manchester. Der Sound erinnert etwas an die leider nicht mehr existierenden Oceansize. Die mit zwei Gitarren, Bass und Drums besetzte Band besticht durch eine stringente Umsetzung ihrer Mittel (zu denen auch ein Arsenal von Effektgeräten gehört) zu einer packenden Musik, die die Zuhörer bis zum Ende in ihren Bann zieht. Die meisten Songs haben Zeit, sich zu entwickeln, lyrische Passagen wechseln mit hammerharten Ausbrüchen, ohne dass Brüche entstehen. Die Hoffnung auf das langsame Austrocknen des Schlamms werden durch einen zweistündigen Regenguss am Samstagmorgen zerstört. Gehe zurück auf Los! Das Abendprogramm wird von einer der wichtigsten Bands der Canterbury Scene, Caravan, eröffnet. Sie bringen ihre fantasievolle und zeitlose Musik erstaunlich frisch an den Mann und werden dafür mit viel Beifall bedacht. Gründungsmitglied Pye Hastings und die anderen Musiker spielen vorrangig Titel aus den 1970er Jahren. Höhepunkte sind "In The Land Of Grey And Pink" und "Nine Feet Underground".
Dickey Betts stellt sein Projekt Great Southern in der identischen instrumentalen Besetzung wie die legendäre Allman Brothers Band, deren stilbildender Gitarrist er war, auf die Bühne. Und damit hat eine gute Entscheidung getroffen. Durch die zwei Drummer wird richtiger Druck aufgebaut und die drei Gitarristen weben ihren Soundteppich, darin unterstützt von Orgel und Bass. Die Songs sind so arrangiert, dass ihnen keine Patina anhaftet. Natürlich wird das Publikum mit Hits wie "Jessica" und "In Memory Of Elizabeth Reed" verwöhnt. Dickey Betts´ "Ramblin´ Man" beschließt einen überzeugenden Auftritt.
Wishbone Ash, geprägt durch seinen Zwei-Gitarren-Sound, bringen sich selbst in ein ein Dilemma, indem sie ihr Pulver mit "The King Will Come" und "Warrior" gleich zu Anfang verschießen. Was danach kommt, ist zwar technisch ausgereift und locker gespielt, lässt aber Höhepunkte und Steigerungen vermissen, schade drum.
Am abschließenden Sonntag muss endlich die Freak Stage zu ihrem Recht kommen. Die Sonne hat sich seit dem Vortag gehalten und Freak City ist besser begehbar. Panzerballett mit Saxophon bleibt ein Traum, wie schon bei ihrem Leipziger Konzert im Vorjahr müssen wir ohne Bläser auskommen. Was bleibt, ist ein sympathischer Auftritt, bei dem die Band ihre kauzigen Interpretationen von Heavy Metal und Jazz in bekannter Qualität zu Gehör bringen. Vielleicht klappts mit der Tröte ein andermal.
Danach folgt Eclipse Sol-Air, eine Neuentdeckung des Progrock aus Regensburg. Sie spielen zum größten Teil Stücke ihres Debütalbums "Bartok´s Crisis". Und wie sie das machen, ist aller Ehren wert. Sie reihen auf fantasiereiche, geradezu halsbrecherische Weise Elemente verschiedenster Stile aneinander, gleich einem Kaleidoskop entstehen immer wieder neue Klangbilder. Was bei vielen anderen Bands zum Scheitern verurteilt wäre, funktioniert hier auf wundersame Art und Weise. Das liegt zum einen daran, dass alle jungen Musiker ihre Instrumente professionell beherrschen, zum anderen steckt hinter allem eine ausgeklügelte Dramaturgie. Der Gefahr der Kopflastigkeit gehen Eclipsed Sol-Air mit ihrer herzerfrischenden Spielfreude aber geschickt aus dem Weg. Philippe Matic-Arnauld des Lions hat neben seinem expressiven Gesang noch eine kurzweilige Bühnenshow zu bieten, hier ist seine pantomimische Ausbildung die Basis. Da wird schon mal ein dickes Märchenbuch geschwenkt oder eine Zwangsjacke angezogen, aber nichts wirkt aufgesetzt oder gekünstelt. Mireille Vicogne ist mit ihrer ausdrucksstarken Stimme (sie spielt auch eine starke Querflöte) eine ausgezeichnete gesangliche Ergänzung. Ein Konzert, das kaum Wünsche offen lässt, die Entdeckung des diesjährigen Festivals.
Zurück zur Main Stage, hier ist das große Halali mit den Herzberg Blues Allstars, deren Kern die Hamburg Blues Band bildet, nebst diversen Gästen angesagt. Nach einer längeren Anlaufstrecke gibt sich Inga Rumpf die Ehre, zu der sich bald Brian Auger an der Orgel gesellt. Natürlich darf der "Indian Ropeman" nicht fehlen, vor langer Zeit von Inga Rumpf mit Frumpy, von Brian Auger mit Julie Driscoll und The Trinity eingespielt. Inga Rumpf hat von ihrer Stimmgewalt kaum etwas eingebüßt, Brian Augers Orgelspiel nichts von seiner Eindringlichkeit verloren. Danach covert der New Yorker Gitarrist Popa Chubby mehrere Jimi Hendrix Songs, darunter "Red House". Das passiert mit unheimlich viel Druck und sehr individuell. Es naht die Stunde des "God of Hellfire", Arthur Brown himself entert verhüllt die Stage. Nachdem sich die Hüllen nach und nach reduziert haben, kreiert er endlich sein unvergessliches "Fire". Es ist allerdings nicht zu überhören, dass seine Stimme doch recht limitiert ist, was aber hinsichtlich seiner Bühnenpräsenz gern toleriert wird.
Nach dem viel umjubelten Ende der Performance fällt der Vorhang, viele Unentwegte feiern noch auf der Freak Stage oder am Zelt Abschied von einem wieder einmal, trotz widriger Umstände, hervorragend organisiertem Hippie Festival. Dem Team der Veranstalter sei dafür herzlich gedankt.
Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch