Norbert Marohn zeigt mit seinem neuen Roman das Jahr 1989 aus einem anderen Blickwinkel. Die Protagonisten sind Männer, die Männer lieben, lieben wollen, die sich Beziehungen wünschen, scheitern, es geht um Sex, um Angst vor der Entdeckung und vor der eigenen Courage, es geht um das Thema, das große Literatur beherrscht: Liebe und die Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen. Das Jahr 1989 ist nicht zwingend, nicht vorrangig. Marohn gelingt es mit "Wie nie zuvor" einen Roman zu schreiben, der die politischen Verhältnisse und Zuspitzungen bis in den Herbst nicht vernachlässigt, sie aber ohne Pathos als Handlungshintergrund und unterstützend für
den persönlichen Auf- und Umbruch nutzt. Er macht keine moralischen Angebote, er belästigt den Leser nicht mit subjektiven Beurteilungen, sondern schildert den normalen Alltag mit seinen Höhen und Tiefen.
Unaufgeregt lässt er seine Figuren auftreten und gibt dem Leser Raum für eigene fortführende Gedanken. Auf die Hauptfigur verzichtet Norbert Marohn. Jeder kann die eigene finden. Die Handlungsplätze sind bewusst gewählt und sozial konträr. Da gibt es den typischen Montagebetrieb mit dem Monteur und ehemaligen Lehrer Harms/Buller, der in der neuen Umgebung voller scheinbarer Ungebundenheit und Freiheit versucht, seine Vorstellungen vom Leben und Partnerschaft zu erfüllen. Und Till, ein Laborant und aus dem Armeedienst zurück, will nun endlich während der verbleibenden Urlaubstage seine Homosexualität ausleben. In der Beschreibung seiner Einsamkeit, seiner Verzweiflung über sein Dilemma bemerkt man trotz heftiger Sprachbilder das Verständnis Marohns für diese tragische Figur, die zu sagen scheint: "Nicht jeder äußere Aufbruch führt auch zu einem inneren.". Fast lyrisch im Sinne der Subjektivität und des lyrischen Subjekts erscheint der Roman an dieser Stelle.
Und da sind noch Edmund Grodek, Journalist der Bezirkszeitung, der die nicht wieder gutmachbare Versäumnisse, verpassten Auseinandersetzungen symbolisiert und Rumen, Abteilungsleiter der Stadtbezirksleitung, der innerlich abgeschlossen, schon längst seine Prioritäten gesetzt hat. Und da gibt es noch viele auf den 500 Seiten, die stellvertretend ein Stück Zeitgeschichte erleben.
Marohn gelingt es, die einzelnen Charaktere mit Prägnanz so zu beschreiben, dass der Eintritt in ihr Leben, ihre Seele und über sie in das Zeitgeschehen gelingt. Wahrhaftig lässt er seine Figuren agieren, schildert mit schonungsloser Offenheit - manchmal bis bis an die Grenzen gehend - Tristesse, Gewalt, Verzweiflung, Frustration und menschliche Sehnsüchte. Ein Roman, der in seiner Komplexität den Leser fordert. Norbert Marohn ist seiner Absicht treu geblieben.
marie scharon