37. Leipziger Jazztage - Siggi und der gelbe Hai

Das Thema verweist auf den zu seinem 200. Geburtstag speziell in den Leipziger Medien überaus präsenten Komponisten Richard Wagner und den vor 20 Jahren auf seine letzte Tournee gegangenen Frank Zappa, dessen letzte zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Produktion mit dem Ensemble Modern "The Yellow Shark" war. Das wirft natürlich die Frage auf, inwieweit der nicht unumstrittene deutsche "Großkomponist" Richard Wagner und der avantgardistische Bandleader, Gitarrist, Arrangeur und Komponist zueinander in Bezug gesetzt werden können. Die für das Programm zuständigen Kuratoren versuchen, durch die Auswahl der 2013 auftretenden Musiker diese Berührungspunkte der "zwei gigantomanischen Freaks" (Daniel Glatzel) zu illustrieren. Die Anzahl
von Jazzern, die sich mit dem Werk von Wagner befassten und befassen, hält sich in einem eher bescheidenen Rahmen. Vielleicht am bekanntesten ist die 1964 veröffentlichte Einspielung "Wagner" von Stan Kenton und seiner Big Band, die Befürworter und Gegner fand. Dagen weist die Affinität Frank Zappas zum Jazz schon eine wesentlich größere Bandbreite auf. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass bei etlichen Aufnahmen und Konzerten Jazzgrößen wie der kürzlich verstorbene George Duke, Don "Sugar Cane" Harris und Jean-Luc Ponty beteiligt waren. Auch bei vielen seiner Kompositionen und Arrangements sind Einflüsse aus dem Jazz unüberhörbar.
%D0%82.09.2013 im UT Connewitz Eva Klesse Quartett, Eric Schaefer The Shredsz

Es beginnt mit einer Preisverleihung. Die Schlagzeugerin Eva Klesse wird mit dem Leipziger Jazznachwuchspreis der Marion-Ermer-Stiftung 2013 ausgezeichnet und steigt danach mit ihrem Quartett, zu dem der Saxophonist Evgeny Ring, der Bassist Robert Lucaciu und der Pianist Philip Frischkorn gehören, in den Ring. Was Eva Klesse und ihre Begleiter in den folgenden Minuten bieten, ist einer Preisträgerin würdig. Die Musiker ergänzen sich hervorragend, unterschwellig aber ist zu spüren, dass die entscheidenden Impulse von Eva Klesse kommen. Mit ihrem Schlagzeugspiel setzt sie die Akzente. Die Musik ruht in sich, durch den Aufbau von Spannungen und dynamischen Entwicklungen reißt sie die Zuhörer mit. Besser kann ein Jazzfestival kaum beginnen!

Eric Schaefer The Shredsz setzen mit ihrem Projekt "Who is afraid of Richard W.?" den Konzertabend fort. Die Musiker bieten auf hohem Niveau eine merkwürdige Melange aus dem englischen Artrock der 1970er Jahre plus dem elektrischen Miles Davis und einigen elektrischen Einsprengseln. Verarbeitet werden Themen wie der "Walkürenritt" sowie Ausschnitte aus Opern wie beispielsweise "Tristan und Isolde" und "Tannhäuser". So richtig aufregend ist das bis auf wenige Passagen nicht und trifft auch bei den Zuhörern auf geteilte Zustimmung.
%D0%84.09.2013 im UT Connewitz Supersilent feat. Stian Westerhus

Schon im vergangenen Jahr war der norwegische Gitarrist Stian Westerhus mit einem Soloprogramm bei den 36. Jazztagen erfolgreich vertreten. Nun ist der Musiker mit einer der gegenwärtig interessantesten Experimental- und Avantgardebands, seinen Landsleuten von Supersilent, wieder in Leipzig. Arve Henriksen (Vocals, Trumpet, Percussion), Helge Sten (Synthesizer, Electric Guitar) und St%C3%A5le Storl%C3%B8kken (Synthesizer, Piano) haben es sich in den sechzehn Jahren ihres bestehen zu Prinzip gemacht, ihre Musik als freie Improvisation zu gestalten. Dabei sind Gäste wie Terje Rypdal, John Paul Jones und wie heute, Stian Westerhus, immer willkommen. Sie bewegen sie sich in einem breiten Spektrum zwischen "göttlichem Krach" und Ambient Music.
%D0%85.09.2013 in der Michaeliskirche Heinz Sauer &; Michael Wollny/ und im Völkerschlachtdenkmal Thomas Hertel

Schauplatz eines denkwürdigen Konzerts ist die mit einer hervorragenden Akustik ausgestattete Michaeliskirche. Der 1932 in Merseburg geborene Heinz Sauer kannte in seiner langjährigen Karriere als Tenorsaxofonist keinerlei Berührungsängste, was sich u.a. mit seiner Zusammenarbeit mit Albert Mangelsdorff, Alfred Harth und dem Globe Unity Orchestra sowie vielen anderen Koryphäen ausdrückt. Seit einigen Jahren ist er musikalisch mit dem Pianisten Michael Wollny verbunden. Am heutigen Abend können sich die Zuhörer in der vollbesetzten Kirche live an einem vom perfekten Zusammenspiel der beiden Musiker geprägten Konzert erfreuen. Die ohne sentimentale Attitüde vorgetragene Musik ist höchst sensibel, entbehrt aber nicht einer gewissen Bodenständigkeit. Der Zuhörer sieht sich in einen Dialog einbezogen, der ohne überflüssige Selbstdarstellung auskommt und für eine Entschleunigung unseres Lebens plädiert.

Im schnellen Wechsel geht es zum Leipziger "Koloss", dem Völkerschlachtdenkmal. Wie schon am Vorabend setzt Thomas Hertel mit seinem Ensemble einen Kontrapunkt zu den gängigen Feiern zum 200. Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht mit kostümierten Schlachtennachstellungen und ähnlichem Mummenschanz. Zum Auftakt bewegt sich ein Floß mit den Musikern auf dem "See der Tränen" unter Schlachtenlärm auf das Denkmal zu. Nach einem Trauermarsch in die Krypta verteilen sie sich zwischen den dort stehenden Figurengruppen und beginnen ihr Konzert. Unter Ausnutzung des einzigartigen Raumklanges bieten unter der Leitung des Komponisten, Keyborders und Arrangeurs Thomas Hertel Karolina Tryballa (Vocals), Krystoffer Dreps (Trumpet), Johannes Moritz (Saxophones), Vinzenz Wieg (Guitar), Jörg Wähner (Drums) uns Rafael Klitzing (Electronics) ein Programm zwischen Jazz und Neuer Musik, das vor allem durch Nachdenklichkeit geprägt ist. Die Zuschauer haben die Möglichkeit, sich während der Darbietung frei im Raum zu bewegen, den Akteuren sehr nah zu sein und dabei ihren Gedanken und Emotionen nachzugehen.
g.10.2013 in der Oper Leipzig Andromeda Mega Express Orchestra, Dieter Ilg Trio, Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz feat. Dan Berglund

Es hat sich eingebürgert, dass der veranstaltende Jazzclub Leipzig zu diesem Festival ein Auftragswerk vergibt. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Daniel Glatzel und sein Andromeda Mega Express Orchestra. Es ist sehr erfreulich, dass junge und innovationsfreudige Musiker dadurch die Möglichkeit bekommen, ihr Werk einem größeren Publikum vorzustellen. Das ist auch unter dem Aspekt zu loben, dass Formationen dieser Größe nur unter größten Anstrengungen am Leben zu erhalten sind. Nach eher verhaltenem Einstieg geht es mit einem Stück weiter, das unverkennbar Bezüge zu Frank Zappas "Waka Jawaka"- Produktion aufweist. Der Bandsound hier und bei den darauf folgenden Stücken zeigt, dass das Andromeda Mega Express Orchestra auch Affinitäten zum Werk von Gil Evans hat. Im Verlauf der Aufführung zeigen sich die Spielfreude und die hohe Professionalität der durch die Bank weg jungen Bandmitglieder, denen für ihre weitere musikalische Entwicklung nur das Beste gewünscht werden kann.

"Wo war eigentlich Wagner?" lautete die Frage eines Jazzfans nach dem Konzert des Dieter Ilg Trios, das seine aktuelle Produktion "Parsifal" zu Gehör brachte. Trotz versierter Technik sprang dabei der Funke nicht auf alle Zuhörer über. Dieter Ilg (Bass), Rainer Böhm (Piano) und Patrice Heral (Drums) bewegten sich doch sehr in einem recht konventionellen Rahmen.

Bugge Wesseltoft (Piano, Keyboards) ist eine der vielen Vorzeigefiguren der norwegischen Jazzszene, deren Akteure bei Jazzfestivals immer gern gesehene Gäste sind. Er ist bekannt dafür, Verbindungen zwischen Jazz und Electronics zu suchen und in seine Musik einfließen zu lassen. Seit 2011 arbeitet er verstärkt mit Henrik Schwarz (Electronics, Loops) zusammen. Zum heutigen Konzert hat sich das mit dem Bassisten Dan Berglund verstärkt, der interessante Nuancen in die gemeinsame Arbeit einbringt. Zu Beginn werden Erinnerungen an die frühen King Crimson geweckt, im weiteren Konzertverlauf konzentriert sich das Trio auf die Erschaffung grandioser Klanglandschaften, sie aber gelegentlich die Geduld des Publikums etwas strapazieren. Die Höhepunkte des Konzerts werden mit den Dialogen zwischen Wesseltoft und Berglund gesetzt.
h.10.2013 in der Oper Leipzig Samuel Rohrers NOREIA, Nanne Emilie & Band, Joshua Redman Quartet

Der Opener des heutigen Konzerts in der Oper ist der Schweizer Drummer Samuel Rohrer mit seinem Projekt NOREIA, zu dem Claudio Puntin (Clarinette), Peter Herbert und Sk%C3%BAli Sverisson (Baritone Bass) gehören. Samuel Rohrer ist ein Soundbastler, der sich zumeist in eher langsam fließenden Gewässern bewegt. Nach seinem Auftritt bemerkt ein Konzertgast, dass er sich stark an die Musik von Tangerine Dream erinnert fühlt. Dieser Vergleich erscheint nicht sehr abwegig, denn die Spannung bleibt während ihres Konzerts auf einem recht konstanten Level, was bei den Zuhörern auch zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führt.</p>%5Cr%5Cn<p>%C2%A0</p>%5Cr%5Cn<p>Die aus Dänemark stammende Sängerin Nanne Emilie wird zum großen Heer der skandinavischen Stimmwunder-Ladies gezählt, die teilweise den Jazz mit einem mehr oder weniger großen Touch von Pop bereichern. Die charmante junge Dame bestreitet ihr Programm allerdings mit einem fast schon in die Salonmusik reichenden Repertoire, das zwar einen großen Teil des Publikums im heute sehr gut besuchten Opernhaus begeistert, aber das Jazzfeeling nicht unbedingt zu seinen Stärken zählt.

Bei keinem Festival darf eigentlich eine Formation aus dem Mutterland des Jazz fehlen. Heute Abend beschließt der amerikanische Saxophonist Joshua Redman mit seinem Quartett, bestehend aus Aaron Goldberg (Piano), Reuben Rogers (Bass) und Gregory Hutchinson (Drums) den Reigen. Alle vier Künstler sind gestandene Musiker, die Bewegung in das Publikum bringen. Sie erfinden den Jazz nicht unbedingt neu, aber mit ihrer Spielfreude und -kultur sind sie als unbedingte Bereicherung der diesjährigen Jazztage anzusehen.

i.10.2013 in der Oper Leipzig Mike Svoboda Quartet, Carla Bley Trio

Mike Svoboda ist ein Unikum. Sein Projekt nennt sich "14 Versuche, Wagner zu lieben zu lernen". Auf so einen Titel muss man erst mal kommen. Mit seinem Quartett, bestehend aus Wolfgang Fernow (Bass, Vocals), Michael Kiedaisch (Drums, Vocals, Guitar, Accordeon) und Scott Roller (Cello, Vocals) bietet der Multiinstrumentalist eine Performance mit höchstem Unterhaltungswert. Das alles ist eine Mischung aus wagnerischen, improvisierten Versatzstücken und rezitierten Statements u.a. von Camille Saint-Sa%C3%ABns, Friedrich Nietzsche und Eric Satie. Da werden u.a. Wagners Verhältnis zu Frauen und das Kommen und Gehen von musikalischen Moden beleuchtet, unterbrochen von nicht ganz ernst gemeinten Zitaten wie z.B. aus "Lohengrin", den "Meistersingern" und dem "Ring".

Die Pianistin Carla Bley ist oft als das "Chamäleon des Jazz" bezeichnet. Hierzulande wurde sie vor allem durch ihr Mega-Opus "Escalator Over The Hill" berühmt, das in sich eine ungeheure Vielfalt von Stilen birgt. Ihr Trio mit dem legendären Steve Swallow (Bass) und Andy Sheppard (Saxophones) dokumentiert diese Vielfalt in einer kleinen Form, die aber keineswegs dadurch an Ausdruckskraft einbüßt. Die langjährige Zusammenarbeit der drei Musiker ist greifbar, wahrscheinlich resultiert daraus auch die Lockerheit, Klarheit und Souveränität, mit der sie musizieren. Die haben für ihr aktuelles Album "Trios" auf ältere Kompositionen zurückgegriffen, als Beispiel sei hier nur "Vashkar" genannt, einer der vielen Höhepunkte ihres Auftritts. Die drei Ausnahmemusiker bieten ein beeindruckendes Sounderlebnis, ein besonderes Highlight dieser Jazztage!

Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch

Liz Green - Metamorphosen im Cafe Kafic Leipzig

Es ist in letzter Zeit Usus geworden, den Support mit einen Musiker zu gestalten, der später auch am Hauptprogramm mitwirkt. An diesem Abend in der Black Box des Cafe Kafic übernimmt Alabaster DePlume diese Rolle. Er trägt fünf Stücke mit Gitarrenbegleitung vor, die bis auf eine expressive Persiflage auf Queen Elizabeth II. einen ruhigen Grundcharakter haben. Zum Ende seiner Performance tritt auch Sam Buckley am Kontrabass an seiner Seite in Erscheinung. Nach einer Pause betritt Liz Green den spärlich beleuchteten Raum und verwandelt ihn in eine grüne Wiese, als sie sich auf dem Fußboden niederlässt und als Einstimmung ein hippieeskes
Lied zur Gitarre vorträgt. Danach covert sie schon auf der Bühne solo einen Blues von Blind Willie McTell. Hier wird schon in Ansätzen die enorme Vielfalt der ihr zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen erkennbar.

Den Löwenanteil ihres Programms besteht aus Songs ihres Debütalbums "O, Devotion", das von der britischen Presse euphorische Kritiken erhielt. Nachdem die aus dem englischen Manchester stammende Liz Green 2007 einen Nachwuchswettbewerb beim berühmten Glastonbury Festival gewonnen hatte veröffentlichte sie in den darauf folgenden Jahren nur zwei Singles und unternahm ausgedehnte Touren durch Europa. Da sie eine Aversion gegen Studios hat, dauerte es mit dem Release ihres ersten Longplayers bis 2011. Die Lieder werden in abgespeckter Besetzung dargeboten, die schon erwähnten Alabaster DePlume und Sam Buckley begleiten sie am Tenorsaxophon bzw. Bass. Die auf dem Album mitspielenden Bläser werden von ihnen kongenial vertreten, an der Qualität werden dadurch keine Abstriche gemacht.

Die Musik wird von Liz Greens Stimme mit ihrem dunklen Timbre beherrscht. Der Raum erfährt im Verlauf des Abends durch ihren Vortrag mehrere Metamorphosen, mal befinden wir uns im Cotton Club der 30er Jahre oder einem Brecht/Weill-Stück der 20er Jahre, dann wechseln wir in eine englische Vaudeville Hall und auf ein Folkfestival um uns schließlich auf einem New Orleans Funeral wiederzufinden. Das alles vollzieht sich jenseits aller künstlichen Perfektion, Liz Green verhaspelt sich schon mal beim Beginn eines Liedes, aus dem Hintergrund erschallt ab und an das sardonische Gelächter Alabaster DePlumes. Die Lieder haben es in sich. Sie erzählt von Odysseus und Penelope, vom Gang zum Schaffott, von Star Joe (ihr Alter Ego, ein Mann mit Vogelkopf) und wie es ist, gehängt zu werden. Die Legende besagt, dass Liz Green in ihrer Ahnenreihe Henker und Lumpensammler aufzuweisen hat, die Texte sind dementsprechend very british und mit schwarzem Humor durchsetzt. Der Abend endet, wie er begonnen hat, Liz Green verabschiedet sich mit einem Solovortrag.

Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch

Lambchop - Die Macht der leisen Töne im Werk 2 Leipzig

Neben vielen Vorteilen haben moderne Audio-Datenträger auch so manches Manko. Dazu gehört die Versuchung, bei Musikstücken, die nach den ersten drei Takten nicht die Gnade des Zuhörers finden, mittels Tastendruck schnell zum nächsten Titel zu springen. Bei Schallplatten war der Aufwand schon etwas größer. Im Verlauf von Live-Konzerten muss es schon ziemlich arg kommen, bevor man den Saal verlässt. Was tut also der Besucher, wenn die dargebotene Musik nicht auf Anhieb seinem Geschmack entspricht? Er kann einem Fluchtreflex folgen, oder aber noch besser, die Einladung annehmen, sich auf die Künstler und ihr Werk einzulassen. Und im besten Fall wird er
mit genussreichen Minuten belohnt. So geschieht es beim jüngsten Gastspiel der Alternativ Country Band Lamchop aus Nashville, Tennessee im Werk 2 in Leipzig. Lambchop ist in der Hauptsache der Sänger und Gitarrist Kurt Wagner.

Der aus der Hochburg des Country & Western stammende Musiker gründete die Band 1993 und steht im Ruf, zur Umsetzung seiner musikalischen Ideen verhältnismäßig viele Musiker auf die Bühne oder ins Studio zu bitten. So hält sich die Anzahl von sieben Musikern fast schon im bescheidenen Rahmen. Außer Kurt Wagner gehören zur Band noch Pianist, Bassist, Schlagzeuger, Keyboarder, Backgroundsängerin und ein Mann an der Steel Gitarre. Auf Bläser und Streicher wird verzichtet. Lambchop spielen im ersten Konzertteil fast ausschließlich Stücke ihres neuen Albums "Mr. M". Dieses ist wie alle Alben von Lambchop sehr persönlich gehalten und setzt sich mit dem Freitod seines Freundes Vic Chesnutt auseinander. Die Anlage im bestuhlten Saal ist vorzüglich ausgesteuert, so kann das Publikum auch filigrane Zwischentöne sehr gut wahrnehmen. Und das ist bei Lambchop eminent wichtig.

Die dezente Instrumentierung sorgt dafür, dass die eindringliche Intensität von Kurt Wagners, fast im Sprechgesang agierender Stimme, auch auf den hintersten Plätzen zum Tragen kommt. In die auf den ersten Eindruck eingängige Musik werden kontinuierlich rhythmische und harmonische Einsprengsel gewoben. Dadurch wird alles an den Mainstream erinnernde relativiert ohne aber den Ursprungsort dieser Musik zu verleugnen. Die Band verzichtet auf jegliche Bühnenshow. Im zweiten Konzertteil werden bekanntere Stücke aus früheren Alben gespielt, vom Publikum durch einen deutlich höheren Lautstärkepegel seines Beifalls honoriert.

Je länger das Konzert dauert, desto mehr frisst sich die Musik in das Gehirn und erzeugt relaxte, aber von traurigen Gefühlen begleitete Stimmungen. Nach zwei Zugaben endet der Abend, die Gefühle aber wollen nicht so schnell weichen.

Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch

Laibach - Iron Sky im Centraltheater Leipzig

Laibach ist wieder im Gespräch. 1980 in Slowenien, damals Bestandteil von Jugoslawien, gegründet, war die Band in das antiautoritäre und antitotalitäre Kunstprojekt NSK integriert. Selbstverständlich erregte sie mit ihrem Industrial Sound und ihren teilweise grotesk übersteigerten Auftritten nicht unbedingt das Wohlwollen der politischen Führung ihres Landes. Natürlich trugen auch ihre Texte dazu bei. Musikalisch hat Laibach eine stetige Entwicklung durchlaufen. Adaptionen von Songs verschiedener Stilrichtungen, experimentelle Verarbeitungen von Bachs "Kunst der Fuge" und die Verwendung elektronischer Klangerzeuger verschmelzen zu einem eklektizistisch anmutenden, unverwechselbaren Stil. Die dunkle Stimme von Sänger Milan Fras setzt mit ihrer beschwörenden Diktion besondere Akzente. Das neueste
Album ist der Soundtrack zum Film des finnischen Regisseurs Timo Vuorensola "Iron Sky", einer abgefahrenen Science-Fiction-Komödie, in der ein Konflikt zwischen dem heutigen Amerika und auf der Rückseite des Mondes überlebenden Nazis im Jahr 2018 geschildert wird.

Zur Einstimmung auf den Live-Auftritt von Laibach wird nicht, wie angekündigt, der Film präsentiert, sondern flankiert von einer Videoinstallation mit einem gigantischen Reichsadler, die Filmmusik zu Gehör gebracht. Man könnte sie fast übersehen, aber auf dem Kopf eben jenes Adlers sitzt eine Taube, die ihren Darminhalt auf diesen entleert. Das Konzert beginnt mit "The Final Countdown" , einer bombastischen Coverversion des Songs der schwedischen Band Europe. Danach folgt ein Block mit Stücken aus "Iron Sky", bei "Take Me To Heaven" im Stil eines Tin Pan Alley - Songs aus den 1930er Jahren kann Sängerin und Tastenspielerin Mina %C5%A0piler mit ihrer eher weichen Stimme glänzen. Laibach verzichtet bei ihrem Auftritt auf martialische Uniformen, die Musiker sind schwarz gekleidet. Der Sound wird mit drei Keyboards kreiert, durch ein Schlagzeug unterstützt, und ist perfekt ausgesteuert.

Danach ist die Zeit für einige ältere Stücke von Laibach gekommen, hier dominieren auffälligerweise Werke, die den Tod als Thema haben. "Le Privilege Des Morts" wird von einem eindrucksvollen, makabren Visual untermalt, in dem ein japanischer Offizier Harakiri begeht. Natürlich darf auch ein Contrapunctus aus "Laibachkunst-derfuge", neue Sichtweisen auf Bachs Werk eröffnend, nicht fehlen. "See That My Grave Is Kept Clean", ein Blues von Blind Lemon Jefferson, Bob Dylan´s überzeugende "Ballad Of A Thin Man" und "Across The Universe" von den Beatles illustrieren die enorme Vielseitigkeit von Laibach.

Den offiziellen Teil beschließt "Tanz mit Laibach", hier kommt die immer wieder aufgeführte Überidentifikation als Mittel der Parodie exzellent zum Tragen. Auch hier wieder, wie auch den Songs der beiden Zugaben, Visuals, die die textlichen Überhöhungen passend illustrieren. "Leben heisst Leben", im Original von Opus, wird untermalt von einem Video, bei dem die berühmte Fotocollage mit dem modifizierten Hakenkreuz in Form von Beilen von John Heartfield bedrohlich über den Köpfen der Musiker kreist.

"Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube. Ein Ruf, ein Traum, ein starker Wille. Gebt mir ein Leitbild!" heißt es in "Geburt einer Nation". Haben wir nicht eine immer wieder aufflackernde Debatte über eine so genannte "Leitkultur". Die entlarvende Sprache weist auf die täglichen faschistoiden Versatzstücke hin, die sich in unserem Sprachgebrauch eingenistet habe. Victor Klemperer hat mit seinem "LTI" auf beeindruckende Weise die Sprache des Dritten Reiches analysiert. Man könnte meinen, dass es an der Zeit wäre, dass ein unabhängiger Geist solch ein Werk auch für unsere Gegenwart verfassen würde, die mit neoliberalen Ideologien überhäuft wird. "Alle gegen alle" schließt sich nahtlos an und zum Schluss eines beeindruckenden Konzert steht logischerweise "Das Spiel ist aus".

Die Setlist: The Final Countdown (Europe Cover); B-Machina; America; Under The Iron Sky; Take Me To Heaven; Smrt Za Smrt; Brat Moj; Ti, Ki Izzivas; Le Privige Des Morts; Leben-Tod; Contrapunctus; See That My Grave Is Kept Clean (Blind Lemon Jefferson Cover); Ballad Of A Thin Man (Bob Dylan Cover); Across The Universe (Beatles Cover); Du bist unser; Warme Lederhaut (Normahl Cover); Love On The Beat; Tanz mit Laibach; Leben heisst Leben (Opus Cover); Geburt einer Nation (Queen Cover); Alle gegen alle; Das Spiel ist aus

Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch

June Coco - Einladung zu einer Reise im Liveclub Telegraph Leipzig

Die junge Leipziger Sängerin und Pianistin June Coco lädt ihr Publikum ein, sie auf einer Reise zu begleiten. Mit an Bord sind die Musiker ihres Quartetts, Athina Kontou am Kontrabass, der Schlagzeuger Friedemann Pruss und der Gitarrist Vincenz Wieg. Die Reise wird uns an viele Orte der musikalischen Welt führen, so auch in den Wilden Westen, nach Frankreich, ans Mittelmeer, nach Brasilien, nach New York und auf eine bunt blühende Sommerwiese. Ihre Lieder erzählen von Träumen, der Liebe, der Sehnsucht nach der Ferne und auch von alltäglichen Begebenheiten. Es gibt auf dieser Reise ein breites Spektrum zwischen stillen Momenten und
musikalischen Ausbrüchen. All das wird von ihr und ihren Musikern souverän gemeistert.

Abschluss und Höhepunkt der ersten Etappe ist das auf Mallorca entstandene "At The Sea". Dieses Lied hat die Qualität ein Ohrwurm zu werden und zeigt auf beeindruckende Weise June Cocos Potential als Songwriterin.

Zu den markanten Punkten des zweiten Teils zählen ihre Eigenkomposition "Reich Sein" und Lou Reeds Klassiker "Perfect Day". Damit nähert die Reise ihrem Ende, aber das begeisterte Publikum will noch nicht von Bord und erklatscht sich noch drei Zugaben. Mit einem Overdub - Experiment werden wir in die Leipziger Herbstnacht entlassen.

Text und Fotos Dieter Lange für radio-mensch
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